Fünf Fragen an: Stefan Beßling, Managing Partner, Rechtsassessor, reThinkLegal GmbH, Frankfurt am Main
Deutscher AnwaltSpiegel: Wie ist reThinkLegal bisher durch die Coronakrise gekommen?
Beßling: Sehr gut! Wir konnten die Zeit des Stillstands gerade am Anfang der Krise gut nutzen, unsere Produkte an das, was uns in der zweiten Jahreshälfte erwarten wird, anpassen und schärfen. Neue Kooperationen konnten eingegangen werden, wir haben aber auch ein wenig die Ruhe genießen können in diesem sommerlichen Frühling.
Deutscher AnwaltSpiegel: Welche Erkenntnisse haben Sie aus Managementsicht bereits gewinnen können – bezogen sowohl auf interne Strukturen als auch mit Blick auf den Markt?
Beßling: Es ist viel mehr möglich, als man bisher gedacht hat; flexibles Arbeiten kann tatsächlich funktionieren. Auch das Remote-Arbeiten im Home-Office scheint für viele Arbeitgeber zu funktionieren. Wir sind ja noch nie die „Nine-to-Five-Worker“ gewesen, und gerade jetzt zeichnet sich ab, dass es primär um die Flexibilität der Arbeitsgestaltung geht, so dass die Betreuung von Kindern, Hunden und anderen Familienmitgliedern unter einen Hut gebracht werden kann. Ich denke, es wird dem Markt guttun, dass sich die Sicht auf die Arbeitsweise verändert, Prioritäten anders gesetzt werden und das Thema Work-Life-Balance wieder einmal ein Stückchen wichtiger wird.
Deutscher AnwaltSpiegel: Home-Office und das Arbeiten in virtuellen Teams scheinen ganz überwiegend zu funktionieren. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für die Zeit nach der Krise – insbesondere im Hinblick auf Präsenzzeiten im Office, Dienstreisen und die zukünftige Planung der Büroflächen?
Beßling: Diese besondere Situation zeigt genau unsere Herausforderung. Wir haben sämtliche technischen Möglichkeiten und das Potential, vieles zu digitalisieren, und müssen die Anwender daran heranführen, dabei dürfen wir aber den zwischenmenschlichen Aspekt nicht aus den Augen lassen. Nun sind wir in der hervorragenden Situation, digital und flexibel zusammenarbeiten zu können, und stehen vor der Herausforderung, „Mitarbeiterführung“, „Teamzusammenhalt“, „Kundenbindung“ und Vertrauen im Allgemeinen zu transportieren.
Dienstreisen werden sich sicher verändern und zunächst auf das Nötigste heruntergefahren. Viele Arbeitgeber werden sich in Zukunft die Position Reisekosten in ihrer BWA ganz genau anschauen und feststellen, dass es doch auch ohne geht … Ja, es ist viel digital und flexibel möglich, aber die zwischenmenschliche Komponente ist nicht ersetzbar. Es lässt sich einfach viel besser im Vorgarten des Lokals „Herr Franz“ im Frankfurter Westend in einer netten Gruppe ein Weinchen trinken als vor dem eigenen Bildschirm zu Hause mit den anderen Beteiligten, die ebenfalls allein zu Hause ihren Wein trinken.
Es gibt Arbeiten, die man von zu Hause oder anderswo remote sehr gut erledigen kann – vielleicht viel besser als im Büro. Auch kann man so in einem Team sehr erfolgreich zusammenarbeiten. Andererseits gibt es Tätigkeiten, die man am besten in einem Team zeitgleich in denselben Räumlichkeiten erledigt. Für diesen Fall wird es auch in absehbarer Zeit keine Alternative geben. Ich denke, ein guter Mix aus Präsenz im Büro und flexiblem Arbeiten wird unsere Arbeitskultur in Zukunft prägen. Bis dahin wird es aber noch viel auszuprobieren geben …
Deutscher AnwaltSpiegel: Führt Corona nach Ihrer Einschätzung zu einem Digitalisierungsschub im Rechtsmarkt?
Beßling: Lasst uns bitte nicht vergessen, dass es bei der Digitalisierung nicht nur um „digitales Arbeiten“ geht, genauso, wie es nicht darum geht, unbedingt „Legal-Tech“ und „Blockchain“ einzusetzen, sondern es geht um verbesserte Prozesse und das effizientere Erreichen gewisser Ergebnisse. Dem Kunden geht es am Ende doch um das geschaffene Werk und weniger um den Weg dahin. Vielmehr ist der Schub in der Reduzierung der Skepsis, der Vorbehalte und vielleicht auch der Angst zu sehen, die Menschen vor dem großen Wort „Digitalisierung“ haben.
Sicherlich wird der zunehmende Einsatz von Technologie helfen, auch Prozesse einmal zu überdenken und neu zu strukturieren. Dies ergibt sich allein aus der Situation, dass vielleicht zu Hause nicht gedruckt werden kann. Was nun? Genau – lasst es einfach digital. Auch eine Unterschrift ist mittlerweile weitestgehend digital möglich und anerkannt. Und der Stempel? Nun ja …
Corona gilt, wenn man auf die Titelseiten diverser Zeitschriften schaut, als der Treiber der Digitalisierung des Rechtsmarkts. Davon sind wir weit entfernt. Die Unternehmen hatten in den vergangenen Monaten genug mit sich selbst zu tun und haben nicht das große Ganze sehen können – und das soll keinesfalls ein Vorwurf sein. Hoffen wir, dass die Zeit nach der Krise dazu führt, dass nun die Prozesse einmal angepackt, aufgedröselt und neu sortiert werden. Ich bin guter Dinge!
Deutscher AnwaltSpiegel: Schließlich – der Blick in die Glaskugel: Wagen Sie eine Prognose für den weiteren Verlauf des Jahres 2020?
Beßling: Das Jahr 2020 wird uns noch die ein oder andere Überraschung bescheren – ich denke, sowohl gute als auch weniger gute. Eine Prognose wage ich nicht abzugeben. Dazu sind wir viel zu früh in dieser Phase der Pandemie. Die Auswirkungen sind immens, sowohl für große DAX-Unternehmen als auch für kleine Start-ups, die normalerweise den Markt aufmischen. Es werden sich in jedem Fall neue Möglichkeiten für alle Beteiligten ergeben. Lasst uns schauen, wie wir alle weiterhin gut durch die Krise kommen.
Quelle: Deutscher AnwaltSpiegel, Ausgabe 12/2020 vom 10.06.2020